Oerlinghausen ?Das kriegen wir schon wieder hin? Rollstühle übergeben und repariert - Privatinitiative von Helpupern in Rumänien Oerlinghausen-Helpup (gs). Gebrauchte Rollstühle entsorgen, weil sie nicht mehr an Patienten ausgegeben werden dürfen? Das kann nicht sein, meinen 3 Helpuper. In Rumänien werden die Hilfsmittel dringend benötigt, sagten sich Martin Elbracht, Erich Lange und Volker Neuhöfer. Auf eigene Kosten mieteten die Freunde einen Lastwagen, nahmen sich eine Woche Urlaub und machten sich auf die 1.800 Kilometer lange Reise zum Heim Kanaan für behinderte Kinder. Es war bereits die 3. Tour des Trios, diesmal mit Gütern im Wert von 20.000 Euro. Tobis Lachen wirkt ansteckend. Er scherzt mit den Betreuerinnen, verstellt seine Stimme, verfällt plötzlich in einen Sprechgesang. Mit ausgeprägter Fröhlichkeit macht der zierliche Neunjährige die Erwachsenen auf sich aufmerksam. Einschränkungen bestimmen Tobis Leben. Dennoch kommt er im roten Aktivrolli schnell voran, und wenn er sich besonders freut, dreht er sich mehrfach auf der Stelle. Das Gefährt hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Der Rahmen ist gebrochen, an den Griffen hält ein dünner Draht das Metallgestänge notdürftig zusammen. Mit 51 weiteren geistig behinderten Kindern und Jugendlichen lebt Tobi im Heim Kanaan im rumänischen Fagaras. Die Helpuper Martin Elbracht, Erich Lange und Volker Neuhöfer waren jetzt ein zweites Mal dort. Aus eigenem Antrieb - also ohne offiziellen Auftrag und ohne Kostenerstattung - allein aus Einsicht. Wie notwendig ihr Einsatz ist, haben sie mehr als ein Mal erfahren. Wie vor einem Jahr brachten sie zahlreiche medizinische Hilfsmittel mit. Allerdings fiel der Miet-Lastwagen eine Nummer größer aus: Auf der Ladefläche des Zwölftonners türmten sich diesmal ausgediente Rollstühle, Pflegebetten und Gehhilfen sowie allein 100 Rollatoren. ?Dafür gibt es hier einen großen Bedarf?, sagt die Leiterin des Trägervereins von Kanaan, Gabriele Bratanescu, in fließendem Deutsch, ?wir werden die Rollatoren über die Sozialstationen unseres Vereins Diakonia verteilen. Für die Rollstühle gibt es ebenfalls Anfragen?. Improvisation ist alles Auch für Tobi findet sich ein neues, geeignetes Exemplar. ?Den blauen Sportrolli mit dem negativen Sturz der Räder hatte ich gleich im Auge?, meint Martin Elbracht, ?bei uns ist er wertlos, weil er nicht wieder verwendet werden darf, aber er ist vollkommen funktionstüchtig?. Der Orthopädietechniker- und Bandagistenmeister Elbracht hat als geschäftsführender Gesellschafter des Bielefelder Sanitätshauses Rosenhäger täglich mit Kranken und Behinderten zu tun. Hier, 1.800 Kilometer entfernt, ist das Gesundheitssystem erst im Aufbau. Auch im Heim Kanaan herrschen völlig andere Bedingungen als in Deutschland. In einer vernachlässigten Garage haben Elbracht und Lange eine provisorische Werkstatt eingerichtet. Und während sie ihr Werkzeug auspacken, steht Volker Neuhöfer nebenan auf der Wiese und bearbeitet die mitgebrachten Rollstühle mit dem Hochdruckreiniger. ?Wir bauen einfach die Sitzschale von einem anderen Rollstuhl ab, dann hat der Junge wenigstens eine vernünftige Sitzhaltung?, schlägt Erich Lange vor. Noch ein wenig schrauben, hämmern und strecken, dann muss noch das Sitzpolster zurechtgeschnitten und mit Kabelbinder befestigt werden und Tobi hat einen Rollstuhl nach Maß. Zufrieden scheint er noch nicht. Er fühle sich unsicher, übersetzen die Betreuerinnen. Nun, auch hier weiß Erich Lange Rat: Von einem weiteren Rollstuhl baut er einen Sicherheitsgurt ab und legt ihn Tobi um. Jetzt ist er zufrieden, auch wenn er seinem roten Renner etwas wehmütig hinterher schaut. Handwerker gefragt ?Ihr wurdet schon sehnsüchtig erwartet?, ruft Annika Damerow aus Berlin dem Helpuper Trio zu, ?immer, wenn etwas kaputt ging, hieß es, bald kommen ja die Leute aus Deutschland?. Die junge Frau arbeitet in der Bundeshauptstadt ebenfalls mit Behinderten, jetzt hat sie sich für 3 Monate beurlauben lassen, um sich in Kanaan ehrenamtlich nützlich zu machen. Am Abend besuchen Martin Elbracht und Volker Neuhöfer eine gelähmte junge Frau zu Hause. Sie lebt in Fagaras in einer behindertengerechten Wohnung des Vereins Diakonia. Wie sich herausstellt, hat sie ihren Rollstuhl auch beim Duschen nicht verlassen. Alle beweglichen Teile sind daher nicht mehr gängig. ?Das kriegen wir schon wieder hin?, meint Erich Lange. Am nächsten Morgen wählt er die passenden Ersatzteile aus, Martin Elbracht sucht unterdessen nach einem Rollstuhl aus weißem Kunststoff. Er wurde speziell für das Bad entwickelt. ?Da ist er ja. Damit kann die Frau so oft duschen, wie sie möchte?. Was kostet das? Aus einem 40 Kilometer entfernten Dorf sind zwei ältere Männer gekommen. Aus ihrem betagten Caravan holen sie den ramponierten Rollstuhl einer Bekannten hervor. ?Da können wir gar nichts mehr machen?, entscheidet Martin Elbracht, nachdem er einen Blick auf das traurige Gefährt geworfen hat, ? am besten nehmen sie sich einen aus unserem Fundus mit. Was wird denn gebraucht?? Die Verständigung ist mühsam. Elbracht erfährt lediglich, dass die Frau schwergewichtig ist. Herkommen will sie auf keinen Fall, auch wenn der neue Rollstuhl dann genau angepasst werden könnte. Die beiden Männer wählen schließlich ein faltbares, nahezu ungebrauchtes Modell aus. ?Was kostet der?? möchten sie noch wissen. Dass er gratis sein soll, nehmen sie staunend zur Kenntnis. Dass Patienten mit geeigneten Hilfsmitteln versorgt werden, ist nicht der Regelfall. Oft verkaufen fliegende Händler für viel Geld Rollstühle an der Haustür, ein Service ist weitgehend unbekannt. Die nächste Fachwerkstatt ist vom Heim zum Beispiel 80 Kilometer entfernt. Wirkungsvolle Spende Am Sonntag besuchen die Helpuper den Gottesdienst in der evangelischen Kirche Fagaras. Der evangelischen Gemeinde gehören vornehmlich die Siebenbürger Sachsen an, daher wird in deutscher Sprache gesungen, gepredigt und gebetet. Anschließend kommt eine junge Frau auf die Helpuper zu. ?Ich möchte mich noch bedanken?, sagt Eva Schwiontek, ?beim letzten Mal haben Sie uns eine Spezialmatratze zur Dekubitusprophylaxe gespendet. Wir brauchten sie für Christian, einen 28-jährigen, der nach einem Badeunfall seit 10 Jahren querschnittsgelähmt ist. Seitdem er die Matratze hat, ist er nicht mehr wund gelegen?. Die junge Frau ist Sozialpädagogin und stammt aus Wittenberg. In der Kirchengemeinde betreut sie Menschen wie Christian. ?Er lebte anfangs in einem Haus ohne Wasser und ohne Gas?, berichtet sie, ?lag ein Jahr in seinem Bett, konnte nicht einmal mehr sitzen. Inzwischen sind die Wunden geschlossen und dank einer Physiotherapie kann er jetzt wieder sitzen. Kürzlich haben wir zum 1. Mal einen Ausflug unternommen?. Aus Scham oder weil ihnen die Hilfsmittel fehlen, trauen sich Behinderte meist nicht in die Öffentlichkeit, und Einrichtungen für Erwachsene sind in Rumänien laut Eva Schwiontek unbekannt. ?Dabei könnte Christian in einer beschützten Werkstatt oder am Computer etwas Sinnvolles tun. Stattdessen schaut er den ganzen Tag nur Fernsehen?. ?Wir warten auf Euch? Neben Rollstühlen haben die Helpuper auch weitere medizinische Hilfsmittel übergeben. Unter anderem waren fünf elektrisch verstellbare Pflegebetten, ein Kurzwellen-Bestrahlungsgerät, ein Infrarotgerät, Stützbandagen und vieles mehr an Bord des Lastwagens. Die Sachspenden stammten von mehreren bekannten Firmen für Sanitätsbedarf, die Autovermietung Oberschelp aus Schloß Holte-Stukenbrock gewährte für den Lkw einen Sondertarif. Auch viele Einwohner Helpups hatten den Hilfstransport mit Sachspenden unterstützt. Zahnarzt Dr. Wolf Kuhlmann stellte Instrumente und 500 einzelne Zähne zur Verfügung. ?Das ist ja toll?, freute sich Dr. Anca Strimtu, die ärztliche Leiterin des Kinderheims Kanaan, ?den Zahnersatz können wir unserem Dentisten geben, damit er im Gegenzug unsere Kinder kostenlos behandelt?. Auch wenn die Sachspenden nicht alle im Behindertenheim Kanaan selbst eingesetzt werden, so dienen sie indirekt dennoch zur finanziellen Unterhaltung der Einrichtung. ?Bis zum nächsten Mal?, meinte Gabriele Bratanescu, Leiterin des Trägervereins Diakonia, zum Abschied, ?wir warten auf Euch?. Spende komplett übergeben Mit großer Freude und Dankbarkeit nahmen Gabriele Bratanescu, ihr Kollege Stefan Strimtu sowie die ärztliche Leiterin Dr. Anca Stramtu die Helpuper Geldspende in Höhe von 2.000 Euro entgegen. Der Betrag war beim letztjährigen 20. Nikolausmarkt als Überschuss erzielt worden. Zum 1. Mal wurden die Mittel nicht für die Jugendarbeit in Helpup, sondern für Kinder und Jugendliche im Ausland verwendet. Im Auftrag des Verkehrs- und Verschönerungsvereins (VVV) überreichten Martin Elbracht, Erich Lange und Volker Neuhöfer die finanzielle Unterstützung an Ort und Stelle. Ein großformatiger Scheck diente als Symbol für die Spende aus dem Lipperland. ?Wir können uns dafür verbürgen, dass die Spendengelder ordnungsgemäß und in voller Höhe angekommen sind?, erklärte Volker Neuhöfer im Namen seiner Mitfahrer, ?die Kosten für den Leihwagen, Benzin, Autobahngebühren, Verpflegung und Unterkunft haben wir selbstverständlich aus eigener Tasche bezahlt?. Für das rein private Projekt seien weder Mittel aus der Geldspende noch vom VVV verwendet worden. (red) eingetragen: 13.08.2009 - 11:24 Uhr |
|